Günter Orban - Literat

ERSTE KELLERETAGE


 

Auszug aus dem Roman "MAMBOS ENKEL" von  Günter Orban c2005

 

Ausgerüstet mit tragbarem elektrischen Licht, einer Tasche voller Filme für Lilo und mit vor den Mund gebundenen Tüchern stiegen sie die mit dem Museumsmüll von Jahrzehnten beladene Treppe hinunter. Sie hatten auch eine große Spule mit Stromkabeln dabei und auf eisernen Dreibeinen montierte Lampen, die sie entlang der zu erkundenden Strecke aufstellen wollten. Die Männer trugen Schaufeln und Werkzeuge, um etwaige Hindernisse zu beseitigen.

Die Stufen endeten in einer Verteilerhalle, von der nach drei Seiten dunkle Gänge abzweigten. Der Pandit ging allen voran. Er hatte einen Rucksack auf seinem Rücken und war statt mit Kurta und Lunghi, in Jeans und Parka gekleidet. Den Turban ersetzte eine Baseballkappe mit der Aufschrift "India All Stars". Er steuerte ohne zu zögern den linken Gang an. In den Seiten des steinernen Torbogens waren schwere Eisenangeln eingesetzt, auf denen einstmals eine Tür schwang. Der Gang dahinter, nur ein paar Meter lang, öffnete sich in einen ovalen Raum von der Größe eines mittleren Konzertsaales. Die Decke dieses Raumes wurde von unzähligen Säulen gestützt, die sechs Meter in die dunkle Höhe ragten. Der Boden war übersäht mit zerfallenen oder zerschlagenen Möbeln, zwischen denen die Splitter zerbrochener Glasgefäße aufblitzten. Im Zentrum dieses ovalen Saales standen vier Säulen enger beieinander und in der Mitte dazwischen war eine Feuerstelle im Boden eingelassen, bis zum Rand voll feiner, hellgrauer Asche, aus der ein rußiger Gegenstand herausragte. In der Wand ringsum in gleichmäßigen Abständen kleine ovale Nischen. In jeder lagen verschiedene Objekte, die eine unbekannte, bar jedes Verwendungszweckes erkennbare Form hatten. Fragmente alter, zermoderter Tücher, mit denen sie einmal verpackt waren, hingen noch an diesen Gegenständen und gaben dem Ganzen eine gesteigerte Fremdheit. Unter jeder Nische stand eine Sanskritschrift in den Stein geritzt. An der Schmalseite des Saales bildete eine stehende, drei Meter hohe Ellipse den Durchgang zum nächsten Raum. Die vielen Säulen warfen, nachdem die ersten beiden Lampen aufgestellt und angeschlossen waren, irritierende Schatten, die das Chaos der zerstörten Gegenstände, die überall herumlagen, noch undurchdringlicher erscheinen ließen. Die Säulen selbst bestanden aus den unterschiedlichsten Steinmaterialien. Es gab welche aus schwarzem Porphyr, weißem Marmor, rotem Marmor, gelben und ziegelfarbenem Sandstein. Andere aus dunkelgrünem Onyx und grau-weiß geädertem Granit.

"Hier schaut es aus wie nach einer Wirtshausrauferei" meinte Karl. "Von selbst haben sich die Sachen hier jedenfalls nicht zertrümmert" sagte Anna. "Die Teile sehen mir aber gar nicht wie ehemalige Möbel aus" warf Lilo ein. Rathan ging zu einer der ovalen Wandvertiefungen und griff nach dem Gegenstand, der darinnen lag. Er löste die zerfallenen Tuchfetzen ab und hatte einen metallischen, leicht s-förmig gebogenen Gegenstand vor sich. Das eine Ende, wie bei einem Glockenschwengel zu einer Verdickung geformt und am anderen Ende sah die gebogene Stange wie ein Griff aus, in den sich die Finger einer Hand hineinschmiegen konnten. Genau in der Mitte der S-förmig gebogenen Stange befand sich eine Scheibe, darauf ein matter weißer Stein, mit kleinen Klammern befestigt . Pandit Arjuna trat über ein paar Trümmer zur Wand hin, um das Ding in einer anderen Nische zu besichtigen. Es knirschte laut, als er dabei auf eine große Glasscherbe stieg, die unter seinen Sohlen in noch kleinere Teile barst. Aus den Resten der Umhüllung schälte er einen U-förmigen Eisengriff, an den Enden abgeflacht und wellenförmig gebogen . Ein dunkelroter, matter Stein war an einer Seite mit dünnen Metallbändern fixiert. Der Gegenstand, den Max aus einer anderen Wandnische nahm, bestand aus einem schwarz und grau gesprenkelten Granit, der die Form eines halbmeterlangen, runden Stabes hatte. An einem Ende war eine Metallschlaufe eingelassen, durch die man bequem eine Hand schieben konnte.

"Legen sie bitte diese Dinge wieder zurück in die Nische" sagte Rathan zu Max und dem Pandit "es könnte sein, dass die in irgendeiner Verbindung mit den Texten stehen, die darunter eingraviert sind". Beide folgten seiner Anweisung und der Pandit, des Sanskrit mächtig, wischte die Schrift unter seiner Nische sauber und begann sie zu lesen: "DER DRITTE KLANG, SCHON WIRD ES..." Das letzte Wort war fein säuberlich ausgekratzt, so dass stattdessen nur eine blinde Kerbe zu sehen war. Der Pandit ging zur nächsten Nische und las: "DAS ELFTE, SCHON EIN LIED, KEIN GANZES. NAGAS TANZ IST..." Auch hier war das letzte Wort weggekratzt worden. Nun las Rathan, der ebenfalls Sanskrit beherrschte, die Zeile unter der Nische, bei der er stand: "FÜRCHTE NICHT SHAKTIS TÖNE. FAST ERFÜLLT IST DAS..." Währenddessen hatte auch Anna in eine Nische gegriffen und unter den staubigen Stoffresten zwei Gegenstände entdeckt. Zwei gleich große Bronzeringe in der Größe einer Melone. Die Oberfläche der beiden Ringe war wie Schlangenhaut modelliert und an einer Stelle dieser Ringe war je ein dunkelgrüner Stein eingelassen. Rathan trat hin und las die Schrift: "ZWEI REINE HÄNDE, ANFANGS KLANG UND ENDE DER...." Die Nische, unter der dieses geheimnisvolle Satzfragment stand, lag knapp neben dem Durchgang zum nächsten Raum. Rathan leuchtete mit seiner Handlampe in die dunkle Öffnung und sah einen kleineren Saal, in dessen Mitte eine einzige drei Meter dicke Säule stand. "Lassen sie uns weitergehen" sagte er und betrat als Erster diese nächste Halle. Dabei musste er noch über einige zur Unkenntlichkeit zerbrochene Gegenstände steigen. Sie lagen wie hineingeworfen in diesem Raum und nicht mehr als einen Meter von der Türöffnung entfernt. Ansonsten lag der Boden frei von Schutt und wirkte wie frisch gereinigt. Zwei Standlampen waren noch übrig. MM und Karl rollten die Kabeltrommel weiter auf und Lilo schloss die Lampen an. Was im Schein von Rathans Handlampe wie eine dicke Säule gewirkt hatte, war nun im stärkeren Licht als eine Skulptur zu erkennen, die bis unter die Decke ragte. Sie bestand aus einem ölig wirkenden, schwarzen Stein und stellte viele aneinander gefesselte Menschenkörper dar. Männliche und Weibliche, dazwischen kleinere, die an Kinder erinnerten. Alle hatten eines gemeinsam, es fehlten ihnen die Köpfe. Überall dort, wo die hätten sein sollen, waren bloß Bruchstellen, die sich aber bei genauerer Betrachtung als künstlich erzeugt erwiesen, ganz realistisch aus dem Stein gemeißelt.

"Schaut einmal her" sagte Lilo. Sie drehte eine der Lampen zur Wand und beleuchtete damit, die im gleichen Abstand eingesetzten Köpfe aus dem gleichen schwarzen Stein, aus dem auch die Mittelskulptur bestand. Wie zum Schlaf gebettet zur Seite geneigt und die Augen geschlossen. Leise erklang die elektronisch hässlich verzerrte Melodie von: "My Pony is over the ocean...". Es war Rathans Mobilfon. Die obere Welt rief ihn an. Sue war am Apparat und bat um Hilfe bei der Installation der Jalousien im Ausstellungsraum von Max.

 

Ende


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