Günter Orban - Literat

ZWEITE KELLERETAGE


 

Auszug aus dem Roman "MAMBOS ENKEL" von  Günter Orban c2005

 

Rathan trat in den Ausstellungsaal und ohne ein Wort zu sagen erhob sich der Pandit, um gemeinsam und schweigend mit allen Anderen in Richtung Kellerabgang zu wandern. Schnell waren die beiden halbwegs erkundeten aber noch undeutbaren Räume durchschritten. Im 3. Saal, der mit elektrischem Licht wohl zum ersten Mal erhellt wurde, gab es steinerne Tiere verschiedenster Art und in den unnatürlichsten Ausmaßen. Neben einer Halbmeter hohen Ratte lag ein dackelgroßer Elefant am Bauch. Ein Stück weiter weg die Hälfte einer Biene mit einem fußballgroßen Kopf. Sie ragte in 2 Meter Höhe aus der Wand. Es wirkte, als ob sie durchlässig wäre und das Tier eben eine Art Membrane durchstieß. In der Mitte des Raumes, der einen dreieckigen Grundriss besaß, war ein freier Platz sichtbar, dessen Boden aus unzähligen ineinander verschlungenen Schlangenleibern bestand. Hätten sie nicht alle die geblähte Haube der Königskobra aufgewiesen, würden sie in ihrer Winzigkeit wie tanzende Regenwürmer erscheinen. Umrahmt war der Schlangenplatz mit geierartigen, sitzenden Vogeltieren, die, trotzdem sie ihre nackten Hälse eingezogen zu einem schlampigen "S" geformt hatten, mit ihrem kahlen Kopf an die 3 Meter hohe gewölbte Decke stießen. Gloria wurde bei deren Anblick fatal an ihre Haschischvision im Keramikatelier erinnert. Ihr Blick glitt ganz in die Höhe zu den riesigen Vogelköpfen und dabei sah sie im schummrigen Halbdunkel darüber, dass auch die Decke des Raumes alles andere als normal aussah. Sie drehte einen der aufgestellten Scheinwerfer hoch und besah sich dieses großartige, bildhauerische und architektonische Meisterwerk näher. Wie ein feingeflochtenes Spitzengitter wölbte sich über ihr, aus unzähligen ineinander verschränkten Armen und Füßen bestehend, diese Konstruktion. Vom Russ unzähliger Fackeln oder Öllampen, die einstens hier gebrannt haben mussten, war der weiße Stein, aus dem das Ganze gestaltet war, an vielen Stellen grau bis schwarz gefärbt.

Diese Färbung erzeugte in ihren verschiedensten hellen und dunklen Nuancen noch mehr den Eindruck bewegter Lebendigkeit. Da hielten sich Löwenpranken an Vogelkrallen, Elefantenfüße waren von Insektenbeinen umfasst und Büffelhufe von Affenhänden umklammert. Aus weißem Stein waren auch alle am Boden liegenden und aus den Wänden ragenden Tiere hergestellt und gleichmäßig mit einer dicken roten Staubschicht überzogen. "Nichts anfassen !" warnte der Pandit. Karl zog rasch seine Hand zurück die schon am Wege war, die realistisch gemeißelte Schnauze eines Eineinhalb Meter großen Schweins zu berühren. Es ragte aus der spitzen Ecke des dreieckigen Raumes heraus und war wie rennend, in Bewegung dargestellt, als würde es seiner Richtung nach geradewegs auf die riesigen hockenden Geier zustürmen. "Blicken sie einmal genau hinauf" meldete sich Rathan "zwischen den vielen Gliedmaßen der Tiere kann man ganz undeutlich eine rote Farbe erkennen. Wahrscheinlich kommt von dort der rote Staub hier unten. Er könnte vielleicht giftig sein". Lilo lehnte mit dem Rücken auf einer der überlebensgroßen Ratten und stellte ihren Fotoapparat auf die Decke scharf. Nun war sie wieder ganz Profi. Sollte doch das möglicherweise giftige Zeugs ihre Jacke erreichen. Bis zur Haut konnte es sicher nicht durchdringen und wenn, dann würde sie vielleicht in heldinnenhafter Manier in die Annalen der wichtigsten Fotodokumentaristen eingehen. Es gelang ihr nicht, auch nach längerem Hin- und Herdrehen des Schärferinges, den Ausschnitt in ihrem Sucher klarer und genauer zu erkennen. Sie setzte die Kamera von ihrem rechten Auge ab und blickte auf die ein wenig trübe Linse. Mit dem Glasreinigungstuch aus ihrer Fototasche putzte sie das Objektiv und sah daran plötzlich eine leicht rötliche Verfärbung. Nun blickte sie auf ihren Handrücken und sah auch dort ganz vage den feinen roten Farbstaub, der stetig und fast unmerklich von der Decke schwebte. Der Pandit hatte dieselbe Beobachtung gemacht und bat alle, möglichst schnell in den nächsten Raum zu gehen. Die Verbindung zu diesem war ein kurzer, sehr enger Gang, der auf seine 3 Meter Länge mitten drinnen um 90 Grad abbog. Nach dem Raumgefühl, , mussten sie direkt hinter dem dreieckigen Raum gelandet sein. Es wurde etwas schwierig, die abgerollten Kabel um diese enge Mauerecke zu ziehen und auch die Standlampen waren in der Enge des Ganges sperrig und schwer zu bewegen. Als endlich das ganze Equipment herübergebracht war, die Lampen leuchteten und alle für die nächste atemberaubende Überraschung gerüstet, den Raum betreten hatten, war vorerst ein enttäuschtes Gefühl in ihnen entstanden. Ein schmuckloser, leerer, kreisrunder Saal von ca. 5 Meter Durchmesser. Nur an einer Stelle bei der Wand war, wie mit einer Schubkarre hingeführt und ausgekippt, ein kleiner Haufen grauer Steine zu sehen. Sie lagen zu einer losen, unordentlichen Pyramide aufgetürmt, die etwa einen Meter in der Höhe maß. Alexa trat nahe an diesen beiläufig anmutende Haufen und stieß unabsichtlich gegen einen der zuunterst am Boden liegenden Gesteinsbrocken. Wie bei der bekannten Dose in der Supermarktpyramide wirkte auch hier dieses Lösen aus dem Haufen auf das gesamte statische Gefüge. Mit einem leise kollernden Geräusch brach der Haufen in sich zusammen, kippte dabei aber sonderbarerweise zur Seite und verteilte sich zu einer flachen unordentlichen Geröllhalde. Alexa wich mit einem Schritt nach rückwärts aus und das hatte ihr vermutlich viele Scherereien erspart. Die zusammengesunkene und zur Seite gekippte Steinpyramide, die nun zerstreut am Boden lag, hatte ein kreisrundes Loch im Boden verborgen. Es war eine spiegelnde Fläche in dem 1 Meter tiefen, runden Schacht zu erkennen. Einer der Steine lag mit einer Hälfte über dem Rand und kippte von irgendeiner minimalen Vibration befördert über seinen Schwerpunkt hinab. Ein leises "klack" ertönte und damit war klar, dass die spiegelnde Fläche aus einem festen, auf Hochglanz polierten Material bestand. Aus unsichtbaren Gründen begann nun der Rand des Lochs zu zerbröseln, sodass es immer größer wurde und als der Vorgang zur Ruhe kam, war dort, wo vor kurzem Alexa gestanden hatte, nur mehr der Anfang eines 1 Meter großen Kreises, der sich kegelförmig in die Tiefe verengte. Ein Geruch nach alten vertrockneten Blüten stieg davon auf, der so intensiv wurde, dass alle Anwesenden Atemnot bekamen. Von der Decke dieses runden Raumes baumelte auf einer Kette befestigt eine große flache Schale aus Metall. Als sich das Bodenloch unnatürlicherweise erweitert hatte, glitt gleichzeitig und lautlos diese Schale ein Stück hernieder. Dieser ganze Vorgang hatte etwas Merkwürdiges und Einmaliges in den Gemütern der Anwesenden bewirkt. Sie wurden in einer langsam gesteigerten Weise auf das Heftigste erheitert. Der Pandit war der Erste, der seiner inneren Belustigung freie Bahn ließ. Er kicherte schuljungenhaft und begann, wie die schlechte Kopie eines Vogels, mit den Armen zu flattern. Dabei schleuderte er sie hektisch auf und ab, sodass diese unfreiwillige Komik auf alle Anderen übergriff.

Alles hatten sie bei diesem zweiten Erkundungsgang erwartet. Zerfallene Leichen mit zertrümmerten Schädeln, zu Skeletten verdorrte, angekettete Prinzessinnen und in Steinplatten gemeißelte Geheimschriften, die unentzifferbar wirkten. Auch Giftpfeile, die zielgenau in ihre Körper zischten, wenn sie bloß mit einem Fuß eine bestimmte Bodenplatte unter Druck gesetzt hätten. Nein, das war es nicht. Schon gar nicht vom Moderduft genährte Monsterkreuzungen zwischen giftigsten Spinnen und aggressiven Leoparden. Keine Fallgruben, die in unterirdisch gurgelnde Wasserläufe, voll von fischköpfigen Ratten mit vergifteten Zähnen oder durchsetzt mit Mikroben, die durch ein kleines Katapult die Luft kontaminieren würden. All das ja ! Aber Heiterkeit ohne Anlass in einer Situation, die beileibe nicht zum Lachen war, das hatten sie nicht erwartet. Rathan kullerten schon dicke Tränen aus den Augen, Karl und Max hielten sich an den Händen und brüllten sich mit lautem Lachen gegenseitig die Ohren taub. Gloria stützte sich, um ihr Seitenstechen abzumildern, an der Wand ab. Ihr Kopf flog, wie von einem Gummiband gezogen, von einer Schulter auf die andere. Dabei sah sie fächergleich immer wieder ihre eigene Hand an der Wand. Erinnerungen an unzählige Witze, die sie in den letzten Jahren erzählt bekommen hatte, reihten sich zu einem abstrakten Bauwerk, das ständig seine Form veränderte. Sie sah einen Kirchturm zusammengesetzt aus geselchten Würsteln, aus denen im nächsten Augenblick die geschminkten Augen unzähliger Clowns heraushüpften. Als alle Augen einen rot-weiß gemusterten riesigen Elefantenrüssel erreichten, drangen sie in die faltige Haut ein, hinterließen am Rand glosende und rauchende Krater, die wie sprechende Münder in verschiedensten Stellungen hin- und herrutschten. Einer dieser Münder, in einem Aufschrei weit geöffnet und die Zunge, die darin zu erkennen war, hatte, wie die Olive in einem trockenen Martini, einen Plastikspieß stecken. In diesem Spieß pulsierte auf- und abwärts ein rot-blau blinkendes Licht. Am Ende dieses Cocktailstäbchens war ein Flamingokopf eingeprägt, in dessen Augen Lauftrommeln rotierten. Angetrieben wurden sie von zwei Gestalten im Inneren, die fleißig am Stand tretend, die immer schneller drehenden, stählernen Kreise in Schwung hielten. Nähergezoomt sah sie sich selbst in doppelter Ausgabe, wie sie sich, mit einem aus Efeuranken geflochtenen Bikini bekleidet, abmühte, die beiden Laufräder durch stetiges auf der Stelle treten in Schwung zu halten. Glorias Realkörper, den sie schön langsam nicht von den beiden Gestalten unterscheiden konnte, schüttelte sich ganz von alleine aus dem Zwerchfell heraus in konvulsivischen Heiterkeitszuckungen. Auch ihre kleinen bikinibewachsenen Ebenbilder begannen nun, aus einem anfangs leichten Grinsen in immer heiterere Grimassen zu verfallen. Langsam verloren sie den gleichmäßigen Tritt und die Laufräder wurden immer träger. Danach setzten sich beide in eine hockende Haltung und hielten sich, ebenfalls vor Lachen geschüttelt, an den seitlichen Streben fest.

"Das war der rote Staub von nebenan" dachte sich Gloria in einer der seltenen Pausen zwischen den ineinanderfließenden Lachsalven. Den gleichen Gedanken produzierte Karls Hirn, das durch sein stoßartiges Kichern, dauern an der Schädeldecke anschlug. Gäbe es ein definiertes Gebiet des Humors auf der Landkarte der Gehirnwindungen, so wäre das sicher in seinem überreizten Zustand an der übermäßig guten Laune schuld gewesen, die in Karl tobte. Er ging prustend auf Lilo zu, die in einer Ecke lehnte und den Mund wie im Schmerz weit aufgerissen, einen Lachstoß nach dem anderen abfeuernd. Er hatte seine Brille wie meistens auf die Stirne geschoben und erschien damit Lilo wie eine kurzsichtige Eule, die verzweifelt nach ihren Augengläsern fahndet. Knapp vor ihr blieb Karl stehen und ließ sich auf seine Knie fallen. "Ich be.., be.., bete dich jetzt an.." schrie er lachend dem in seiner Augenhöhe befindlichen Unterleib von Lilo entgegen. "Mein Bauch und seine delikaten Innereien danken dir sehr für deine Verehrung" schluchzte sie von oben herab. Sie hatte jenes Stadium erreicht, in dem sich Lachen und Weinen, Schmerz und Lust, Komik und Dramatik zu einer unlösbaren, hart-weichen Antistimmung verschmolzen. Karl ließ sich gegen das Objekt seiner Verehrung sinken. Mit beiden Armen umfasste er Lilos Hüfte und vergrub seinen Kopf irgendwo in diesem weichen, geheimnisvollen, wohlduftenden Bindegewebe. Nur die glatte, gleitende Seide ihres Hemdes verhinderte, dass er sich tiefer und tiefer in ihr Fleisch hineinlachte.

In hohem Bogen flog die Mütze von Annas Kopf in das mysteriöse Loch im Boden. Mit einer Handbewegung riss sie sich am linken Ohr und es knackste dabei weit hinten bei Amboss und Steigbügel. Sie kniete am Boden und versuchte mit dem Mund ihr Knie zu küssen. Auch sie lachte in einem fort und die hockende Haltung verstärkte noch das Seitenstechen, das ihr langsam bis in die kribbelnde Wirbelsäule schmerzte. Ihr Oberkörper schwankte hin und her, das "ha ha" und "hu hu" zuckte auf und ab. Raus aus dem Mund kam ein "ha ha" und unten, weit unten im gebogenen Rückenmark strebte ein "hu hu" schon den Weg über ihre Nerven als nächste phonetische Krampfwelle ihren Stimmbändern zu.

Ganz alleine, ohne Anstoß von irgendwelchen Situationen, die zu Heiterkeit geführt hätten, hatte sich vom Schließmuskel herauf das meckernde Lachen seinen neuronischen Weg bis zu Rathans Mund gefunden. Schon die erste Salve war so gewaltig, dass er sich flach hinfallen ließ. Am Bauch liegend hatte er seine Arme auf den Rücken gelegt und dabei versuchte er, ohne spürbaren Erfolg, mit den Händen seine After zu verschließen in der Annahme, dass er dadurch den von außen eindringenden Lachdämonen den Weg versperren könnte. Aber das Lachen, die Heiterkeit und die humorvolle Hochschaubahn in seinen Ganglien waren schon längst, vielleicht durch den roten Staub aus dem Saal der Tiere, in seinem Blutkreislauf unterwegs.

Max hatte einen Arm um Anna geschlungen und den Kopf auf ihre Schulter geneigt. Über ihre schluchzenden Lachgeräusche drang schreiend seine Stimme in ihr Ohr: "Gell, du bist nicht Else ? Oder nein ! Else kommt nächste Woche ! Oder nein ? Sag ja, wenn ich dich frage, ob du Else bist! Stumm bist du wie ihrer Kakteen. Die würden lauter lachen als du, gell ?"

Anna war die Einzige der unterirdisch vergnügten Partie, die äußerlich einen ernsten und würdevollen Eindruck vermittelte. Die Lustigkeit, die sie überfallen hatte, auch ohne Vorwarnung, und mit nur leicht ansteigender Heiterkeit ihr Kommen verheimlicht hatte, war zeitraffergleich in ihrem Bauch explodiert. Die feinen Nervenwege, die in dieser unglaublichen Geheimmission von einer unbekannten Chemie beschritten wurden, führten geradewegs in Annas primären Geschlechtsteil. Gäbe es nicht schon den unter Lachen zerfetzenden Orgasmus, den in seinen unkonventionellen Schriften L.T. Frugerisch beschrieben hatte, Anna hätte ihn erfinden können. Eine Lustsalve nach der anderen donnerte aus ihrem grinsend aufgerissenen Muttermund berg- und talwärts. Da war eine Lust am Fliessen, die nicht nur Signale der absoluten Freiheit und Befriedigtheit in ihr Gehirn schoss, sondern auch in stromstoßartiger Verkrampfung eine Heiterkeit dazumischte, sodass dadurch die Genussschwelle auf ihrem subjektiven Höhepunkt in humorbestimmte Stimmungen purzelte. Dieses amorphe Purzeln war es, das Anna so ernst erscheinen ließ. Wie zwei Hände, die ein elastisches Band in die Länge ziehen und dabei Heiterkeit und Lust immer weiter voneinander entfernen, dann plötzlich loslassen und die beiden Enden in einer ruckartig verkrampfenden Kontraktion aufeinander zustürmen lassen. Wenn dieses Donnerwetter von ineinanderstürzenden,sich fast gleichzeitig wieder rasant voneinander entfernenden Gefühlen in der Minute mindestens sechzigmal seine Kräfte verstreut, kann man getrost und im direktesten Sinne von Burn-out berichten. Anna konnte ab dieser Erfahrung nie wieder einen Lach- oder Weinmuskel in Gang setzen. Ihr Gesicht blieb bis zu ihrem körperlichen Tod und noch einige Zeit darüber hinaus, bis die verzehrenden Flammen der Kremation die weiße Asche erzeugten, in dieser Ausdruckspose, von der die Einen meinten, sie denke angestrengt nach und die Anderen eine komplette Abwesenheit aus der momentanen Situation herauslasen. Aber wie immer gibt es Ausnahmezeiten in einer scheinbar fixen und unabänderlichen Situation. Die Ausnahme geschah immer dann, wenn Anna in einem Orgasmus verglühte, der ihr Gesicht in so dramatische Wallungen brachte, die ihren Beischläfern für lange Zeit Angst, Kummer und Gewissensbisse bescherten.

Nun war da noch MM, der sich vergeblich bemühte, in einen Kopfstand zu gelangen. Seine wie ein D-Zug durchrasende Lustigkeit, die ihm just in dem Moment niedergebügelte, in dem er nach der aus seiner Hand geglittenen Taschenlampe griff, verhinderte, dass er sich wieder aufrichten konnte. Die leuchtende Taschenlampe lag neben seinem Kopf, schon zum siebenten Mal versuchte er, seine Beine Richtung Decke zu heben. Da oben am Plafond vermutete er seinen wirklichen Stand. Er fühlte sich auf der falschen Ebene des Raumes, vermeinte, an der Decke zu kleben, neben sich einen eigentümlich geformten Luster, der ihm zwar bekannt vorkam, von dem er aber nicht wusste, warum er so knapp neben seinen Kopf von der Decke strahlte. "Ich werde es schon schaffen, meine Füße wieder auf den Boden zu bekommen" dachte er sich erheitert und losgelöst von Logik und Kausalität "muss ein starker Magnet sein, der meinen Kopf da oben festsaugt". Wieder flutete eine hysterische Heiterkeitswelle über ihn hinweg, die sich in dem Augenblick überschlug und langsam am Strand seiner überforderten Ganglien verebbte, als er daran dachte, diese Geschichte in ein gemaltes Bild zu übertragen. "Hanging MM", den Titel hatte er schon. Danach wurde es finster vor seinen Augen. Die bei den vergeblichen Versuchen zum Kopfstand herausgerutschten Hemdschöße fielen ihm über das Gesicht. "Na endlich dreht hier jemand das Licht ab" dachte er belustigt "muss den Flurschütz anrufen, wenn ich wieder in Wien bin. Seine Wohnung voller selbstgebauter Roboter wäre jetzt ein angenehmer Ausgleich". Eine Hand umfasste seine Schulter, eine Stimme drang in seinen Kopf und dabei wurde es wieder hell in seinen Augen. Gloria war es, die, wieder beruhigt, aber in einer ungemein heiteren Stimmung die Hemdzipfel vor seinen Kopf anhob. "Komm, lass uns verschwinden. Für heute haben wir genug gelacht". MM kam durch den vertrauten Klang ihrer Stimme schön langsam auf den wirklichen Boden, auf dem er lag. Er stemmte sich hoch und lächelte dabei dankbar in Richtung Glorias Gesicht. Ihre Haut war noch stark gerötet von der intensiven Durchblutung, die das anhaltende Lachen bei ihr bewirkt hatte. "Du glühst wie eine Rose" presste er mühsam durch die sich von selbst verzerrenden Lippen hervor. Der nächste Lachanfall wollte sich Raum und Ausdruck verschaffen. MM hatte genug. Er presste den Mund fest zusammen und dachte dabei als psychischen Antitod an den toten Ottersee. Das funktionierte nicht ganz wie gewünscht. Also sprach er als verschärfte Methode dessen Namen laut, in Silben abgehackt ein paar Mal in den Raum. "Ott-er-see ! Ott-er-see !" Von der anderen Seite erklang von konvulsivischen Lachern unterbrochen die Stimme von Alexa. "Ja, ja, so wollen wir diesen kleinen Teich hier nennen, dieses Loch, in dem anscheinend, ein zu Stein gehärtetes Wasser spiegelt". Pandit Ajuna kam nun auch gemächlich aus dem Überfall auf seine Lachmuskeln heraus. "Morgen werde ich einen Muskelkater in den Armen haben" dachte er sich unbekümmert, was eigentlich gar nicht seine Art war. Er bemühte sich erfolgreich das automatische Aufwärtswollen und den Drang zum Fliegen mit einer ihm geläufigen geistigen Disziplin herunter zu zügeln. Die blauen Himmel, denen er lachend entgegenschweben wollte, waren nun wieder in die grauen Wände des runden Raumes zurückgeschrumpft. Langsam kam seine innere Verantwortungshaltung zurück. Er war doch der, der das Verbot zur Besichtigung der Keller zu erlassen versucht hatte. Und nun das ! Dieses unbändige Verlangen, wie ein Adler aus der stickigen vergifteten Luft von New Delhi zu entschweben. Ajuna schämte sich. Er schämte sich so sehr, wie nur einmal in seinem Leben, als er vom College entlassen, das wenige Geld, das er durch tägliches Blumengießen im Professorenzimmer erhalten hatte, für eine Haridjan ausgegeben hatte. Die gruselige Faszination, die von diesen Zwittermenschen ausging, war ein Standardthema in seinem Schlafsaal gewesen. Ausgegrenzt aus der sogenannten normalen Gesellschaft erhielten sie sich meist durch Prostitution und mit Tanz- und Gesangsauftritten bei Hochzeiten am Leben. Sie zu besuchen und mit ihnen geschlechtlich verkehren zu versuchen, galt als die größte Mutprobe bei den Buben seiner Klasse. Er hatte es gewagt. Wie enttäuschend trivial dieser Akt war, hatte er danach allen verschwiegen. Die Gerüchte und Befürchtungen, die diese Haridjanis wie ein verlockend giftiges Gespinst umgaben, wollte er nicht vertreiben. Hätte das doch auch seinen Mut und seine Tapferkeit geschmälert. Die Haridjan, die er damals traf, versuchte weder seinen Penis abzubeißen noch durch den bösen Blick zu beschädigen. Sie hatte große Tränen in den Augen, als er vergeblich versuchte, in ihr verkümmertes weibliches Geschlechtsteil einzudringen. Es tat ihm auch weh und so ließ er es bald bleiben, kuschelte sich in ihre Arme und in das einfache Kinderlied, das sie mit hoher Fistelstimme über seinen Kopf hinweg sang.

Pandit Ajuna setzte seine strengste Miene auf, seine Hände hatte er tief und fest in die Taschen seiner Parka gestemmt. Nur ja nicht wieder diese Flatterbewegung seiner Arme ! Er blickte die Anderen der Reihe nach an, sah, dass auch bei ihnen der Heiterkeitsausbruch verebbte. Schweigend, wie sie zuerst herabgestiegen waren, traten sie den Rückweg an. Durch den dreieckigen Saal mit den vielen rot bestäubten Tierfiguren gingen sie mit hastigen Schritten, den Atem anhaltend, um ja nichts von den stetig herabschwebenden Teilchen einzuatmen.

Rathan, der am Ende der Kolonne ging, blieb kurz stehen und fuhr mit seinem Zeigefinger über die rote Staubschicht am Rücken der Rattenstatue. Er wollte in seinem Büro diese Probe schnell vom Finger kratzen und zur Untersuchung in ein biophysikalisches Labor bringen.

 

 

Ende


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